Zwei Minuten

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Die Festtage am Jahresende, die zumeist auch Ferientage sind, bieten Gelegenheit zum entspannten «Nichtstun». Wir können ausspannen, geniessen und uns erholen. Der Alltag legt uns keine Pflichten auf, wir haben freie Zeit, die wir für Dinge verwenden können, die uns Freude machen und bei denen wir auftanken können. Eine stressfreie, unbeschwerte Zeit, die ganz dem Geniessen gewidmet ist. Das Geniessen ist umso grösser, weil wir wissen, dass wir momentan nichts tun «müssen». Doch wie verhält es sich eigentlich, wenn wir tatsächlich einmal versuchen, wirklich «gar nichts zu tun»?

Das Experiment mit dem Nichtstun braucht nicht viel Zeit, zwei Minuten reichen. Zwei Minuten, in denen nichts Besonderes geschehen muss, in denen auch keine «Übung» stattfindet; zwei Minuten, die völlig zweckfrei verbracht werden. Wie ist das, wenn für zwei Minuten einfach gar nichts passiert, nichts getan wird, nichts angestrebt, nichts umgesetzt wird? Wenn diese zwei Minuten zu nichts führen müssen, keinen Zweck haben müssen, für nichts gut sein müssen, keinen Nutzen erzielen müssen? Wie ist es, wenn wir uns in diesen zwei Minuten nicht einmal «entspannen» müssen? Wie ist es, wenn wir einmal für zwei Minuten alle Absichten – die uns normalerweise durch den Alltag leiten und ihn strukturieren, so dass wir «etwas erreichen» – wenn wir alle diese Absichten einmal loslassen? Und zwei Minuten gänzlich zweckfreier Zeit mit uns selbst und unserer Umgebung verbringen?

Ist das überhaupt auszuhalten, wenn nichts geschieht? Wie reagiert unser Inneres, wenn nichts geschehen muss, können wir einen solchen Moment geniessen, oder werden wir vielleicht innerlich unruhig und zappelig? Wie reagiert unser Körper darauf, wenn «nichts passiert» – wie ist die Qualität der Atmung, wie die Körperspannung? Wie verändert sich unsere Wahrnehmung von uns selbst, vom Raum, in dem wir uns befinden, wenn «nichts passiert»? Kann es sein, dass wir auf einmal Details bemerken, die wir noch nie wirklich «gesehen» haben?

Zwei Minuten «Nichtstun» können spielerisch und spannend sein! Doch was ist, wenn nach den Festtagen der Alltag wieder einkehrt? Haben wir dann überhaupt noch Zeit für solche «zweckfreien Pausen»? Vielleicht ist es ja ein Experiment wert: für zwei Minuten alle Absichten loszulassen – und zwar gerade dann, wenn wir «überhaupt keine Zeit haben» und es darum zu gehen scheint, gerade jetzt dringend etwas Bestimmtes zu erreichen oder umzusetzen. Wenn wir uns «aus dem Alltagsgetümmel» heraus in eine zwei Minuten währende zweckfreie Pause begeben, wird sich sehr wahrscheinlich herausstellen, dass sich gerade in diesem Moment eine bestimmte Absicht eben nicht loslassen lässt, sondern sehr dominant ist. Das macht nichts. Denn wir können ja diese Absicht einmal ganz «zweckfrei» in der Wahrnehmung stehen lassen und nichts weiter damit tun – nichts weiter damit passieren lassen. Wie fühlt sich dieses Absichtsvolle in uns an? Welche innere Färbung hat es – welche Intensität? Wie reagiert die Atmung darauf, wie die Körperspannung?

Eine zunächst banal wirkende «zweckfreie Pause» kann in diesem Sinne übergehen in eine unvermutete innere Begegnung mit unseren untergründig wirksamen Motivationen – mit jenen Absichten, die wir oft gar nicht so genau kennen, die wir aber dennoch nur schwer loslassen können –  und wir haben Gelegenheit, sie für zwei Minuten ganz «zweckfrei» in die Wahrnehmung zu nehmen und sie dort ruhig stehen zu lassen. Auf diese Weise könnten handlungsleitende Impulse sich möglicherweise ganz unmerklich klären und sortieren, mit der Zeit vielleicht sogar wandeln oder vertiefen… und diese Klärung könnte sogar nachhaltiger eingehen in unsere Lebensführung, als etwa ein zum Neujahr gefasster «guter Vorsatz», der im März schon wieder vergessen ist.

Für  das Jahr 2016 wünsche ich Ihnen immer wieder zweckfreie Momente, die Ihnen – unberührt vom Nützlichkeitsdenken – Freiraum für Neues, noch nicht Gedachtes, noch nicht Gekanntes schenken.

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