Winterruhe

Der Winter ist eine Ruhezeit für Pflanzen und Tiere. Die Natur macht Pause und zieht sich auf ein Minimum an Lebensprozessen zurück. Denn Lebensprozesse kosten Energie, und diese ist im Winter knapp: es ist kalt, das Sonnenlicht scheint spärlich, und es gibt nur noch wenig Nahrung. Um gut durch den Winter zu kommen und zu überleben, passen sich Pflanzen und Tiere an den Winter an. Sie gestalten ihr Leben möglichst ruhig und aktivitätenarm, um möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Und wir Menschen? Wie weit beeinflussen diese natürlichen Regulationsprozesse uns noch?

Winterruhe bei Pflanzen
Laubbäume bereiten sich auf die Winterruhe vor, indem sie bereits im Herbst ihre Blätter abwerfen. Dies schützt sie vor der Austrocknung, da über die Oberfläche der Blätter sehr viel Wasser verdunstet. Weil bei gefrorenem Boden die Aufnahme von Wasser über die Wurzeln nicht möglich ist, können die Bäume im Winter keine Flüssigkeit «nachtanken», so dass sie, wären sie noch voll belaubt, in kurzer Zeit ausgetrocknet wären.
Nadelbäume und andere immergrüne Pflanzen verfügen über eine Wachsschicht, die ihre Nadeln und Blätter vor dem Austrocknen schützt, indem sie das Wasser innerhalb der Blätter behält. Wintergrüne Plfanzen haben ausserdem eine Art «Frostschutzmittel» in ihren Zellen, das sie vor dem Erfrieren schützt.

Wechselwarme Tiere in der Winterstarre
Fische, Frösche, Lurche, Insekten, Reptilien und Schnecken sind wechselwarme Tiere. Ihre Körpertemperatur ist abhängig von der Aussentemperatur, sie können sie nicht selbst regulieren. Da sie auf eine warme Umgebungstemperatur angewiesen sind, um sich fortbewegen zu können, sind ihre Lebensfunktionen und ihr Bewegungsspielraum vollkommen abhängig von der Umgebung. Im Winter sinkt ihre Körpertemperatur mit der Aussentemperatur dramatisch ab, und die Tiere überwintern in einer bewegungslosen Winterstarre, aus der sie – wenn sie die Wintertemperaturen überhaupt überlebt haben – erst im Frühling wieder «auftauen».

Gleichwarme Tiere haben mehr Bewegungsspielraum
Vögel und Säugetiere sind gleichwarme Tiere, was bedeutet, dass sie ihre Körpertemperatur unabhängig von der Aussentemperatur aufrecht erhalten können. Ihre Lebensmöglichkeiten und ihr Bewegungsspielraum werden dadurch enorm erweitert, denn sie können sich unabhängig von der Umgebungstemperatur bewegen und auch in kalten Lebensräumen ihre Lebensfunktionen aufrecht erhalten. Allerdings kostet dieses Plus an Unabhängigkeit ein grosses Mass an zusätzlicher Energie, welche die Tiere in Form von Nahrung zu sich nehmen müssen. Nahrung ist jedoch gerade in der kalten Jahreszeit knapp. Um durch den Winter zu kommen, haben gleichwarme Tiere verschiedene faszinierende Strategien entwickelt, um sich vor der Kälte zu schützen und Energie einzusparen. Den meisten dieser Strategien ist gemeinsam, dass die Tiere möglichst viel ruhen, um möglichst viel Energie zu sparen.

Reise- und andere Vögel
Ein grosser Teil der Vögel macht sich bereits im Herbst auf den Weg Richtung Süden, um dort zu überwintern. Wintervögel, die in unseren Breitengraden verbleiben, sind durch ihr dichtes Gefieder gegen Kälte gut isoliert. Mangels Insekten ernähren sie sich nun vorwiegend von Pflanzensamen oder fettreichen Nüssen. Im übrigen ruhen und dösen sie viel. Wasservögel haben einen speziellen «Frostschutz» entwickelt, der verhindert, dass ihre Füsse im Schlaf auf dem Eis festfrieren. In speziell kalten Nächten können Vögel ihre Körpertemperatur zudem künstlich absenken, um ihren Energieverbrauch zu reduzieren.

Dickes Fell und Winterspeck
Winteraktive Tiere wie zum Beispiel Rehe, Füchse und Feldhasen, bilden für den Winter ein dichteres, wärmeisolierendes Fell aus und fressen sich vorsorglich eine dicke Fettschicht an, von der sie beim winterlich schmalen Nahrungsangebot dann zehren können. Sie ernähren sich von dem, was unter der Schneedecke gerade noch so an Nahrung zu finden ist. Ausser einer täglichen kurzen Futtersuche ruhen sie viel, um ihren Energieverbrauch so klein wie möglich zu halten.

Eingerollt in der Winterruhe
Tiere wie beispielsweise Eichhörnchen, Dachse oder Bären ziehen sich mit Beginn der kalten Jahreszeit an einen geschützten Ort zurück, wo sie sich zur Winterruhe einrollen. Sie verschlafen den Winter zum grössten Teil, unterbrochen nur von kurzen Phasen der Nahrungsaufnahme. Durch die langen Schlafphasen verbrauchen sie sehr viel weniger Energie und haben somit weniger Nahrungsbedarf, ihre Körpertemperatur wird aber aufrecht erhalten.

Eingeigelt im Winterschlaf
Noch mehr Energie können Tiere wie Igel, Murmeltiere, Fledermäuse und Siebenschläfer einsparen, indem sie sich an einem geschützten Ort zusammengerollt in den Winterschlaf begeben. Während des Winterschlafes wird ihre Körpertemperatur bis kurz vor den Nullpunkt heruntergefahren, ihr Herzschlag und ihre Atemfrequenz verlangsamen sich drastisch. Tiere im Winterschlaf wachen – hormonell gesteuert – nur in sehr grossen Abständen auf, nämlich immer dann, wenn ihre Körpertemperatur auf einen lebensbedrohlichen Wert absinkt. In der Aufwachphase wärmen sie sich nur kurz auf, um dann erneut in den Winterschlaf-Zustand zu gehen. Tiere im Winterschlaf können so fast 99% ihres normalen Energieverbrauches einsparen.

Emanzipierte Menschen
Wie Säugetiere und Vögel können Menschen ihre Körpertemperatur unabhängig von der Umgebung aufrecht erhalten und sind dadurch unabhängig von der Umgebungstemperatur. Auch Menschen benötigen dem entsprechend ein Plus an Energie in Form von Nahrung. Die menschlichen Strategien, um im Winter zu überleben, waren zur Altsteinzeit wohl noch sehr ähnlich wie die der winteraktiven Tiere. Zusätzlich haben sich Menschen früh noch sehr viel weiter von den Gegebenheiten der Umgebung emanzipiert als diese – durch Kulturtechniken wie das Feuermachen, das Herstellen von schützender Kleidung, das Bauen wärmender Behausungen und seit der Jungsteinzeit durch Sesshaftigkeit und Landwirtschaft. Je weiter diese Emanzipation von der Umgebung fortschritt – bis hin zur Industriegesellschaft unserer Tage – desto mehr wurden Menschen befähigt, ihre Aktivitäten und Lebensprozesse weitestgehend unabhängig von den sie umgebenden Naturprozessen zu gestalten.

Zwischen Neuzeit und Biologie
Doch ungeachtet der sehr weitgehenden Emanzipation von unserer Umgebung, sind die Regulationsprozesse, von denen Pflanzen und Tiere im Lauf der wechselnden Jahreszeiten bestimmt werden, auch für uns Menschen immer noch von Bedeutung. Denn auch unsere biologischen Regulationsprozesse sind in weiten Teilen immer noch die gleichen, die uns bereits in der Steinzeit geleitet haben. So wurde beispielsweise kürzlich entdeckt, dass auch wir Menschen über die genetisch-physiologische Ausstattung verfügen, um in einen Winterschlaf abzutauchen. NASA und ESA denken darüber nach, dies für zukünftige Weltraumprojekte zu nutzen und beispielsweise Astronauten ihre Fahrt zum Mars im Winterschlaf absolvieren zu lassen. Auch wir reagieren auf die veränderten Lichtverhältnisse im Winter mit einem verstärkten Schlafbedürfnis und haben die Neigung, uns im Winter eine Speckschicht anzufuttern – beispielsweise in Form von Weihnachtsguetsli.

Innere Uhren
Obwohl Zimmerpflanzen nicht mehr direkt mit ihrer ursprünglichen natürlichen Umgebung in Verbindung sind, sind sie dennoch aufgrund ihrer inneren biologischen Uhren nach wie vor den natürlichen Zyklen der Jahreszeiten unterworfen. Deshalb brauchen sie im Winter eine Phase der Ruhe, um gesund zu bleiben. Sie sollten während der Winterzeit nicht zum Austreiben und Wachsen angeregt werden, möglichst kühl gestellt und nicht zu viel gegossen werden. Die inneren Uhren von Organismen – ob bei Zimmerpflanzen oder bei uns Menschen – folgen, wie von Chronobiologen immer wieder gezeigt werden konnte, weiterhin den Zyklen ihrer ursprünglichen natürlichen Umwelt. Sie beeinflussen uns auch dann noch, wenn wir vorwiegend in einer von der Natur abgekoppelten Umgebung leben. Vielleicht wäre es daher gar keine schlechte Idee, unseren inneren biologischen Uhren ein wenig nachzugeben und während der Winterzeit alles etwas gemütlicher angehen zu lassen?

Eine Prise Winterruhe und ein gutes Neues Jahr 2019 wünsche ich Ihnen!

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