Vielleicht ist jetzt gerade der richtige Augenblick, um einen Moment der Ruhe zu erleben. Während einer Weile, die auch kurz sein darf, einfach «da sein», während das innerliche «Ziehen» und «Schieben» all der Dinge, die zu erledigen wären, einen Moment lang schweigt. Ein Moment der Ruhe bedeutet, zu spüren, dass wir vollbewusst im Raum sein können, ohne dass eines der Dinge, die um uns herum sind, uns unmittelbar zur nächsten Handlung «auffordert».
Oft geht es uns im Alltag ungefähr so: wir betreten ein Zimmer, und unser Auge fällt als erstes auf den Wäscheberg, der sich auf dem Sofa türmt. Auch wenn der Wäscheberg weder sprechen noch sich bewegen kann, scheint er uns dennoch unüberhörbar «aufzufordern», sich mit ihm zu beschäftigen. Wir fühlen den «Appell», die Wäsche zu bügeln, zusammenzufalten und in den Schrank zu räumen. Das Sehen und der «Appell» fallen so sehr in eins zusammen, dass wir beides nicht mehr unterscheiden können.
Ruhe kommt dann ins Spiel, wenn sich zwischen Sehen und «Appell» ein winzigkleiner Spalt auftut – ein Spalt, in dem die Möglichkeit greifbar wird, dem «Appell» nicht blind und reflexartig zu folgen, sondern erst einmal das, was wir wahrnehmen, abgelöst vom «Appell» auf uns wirken zu lassen. Dann können wir beispielsweise die Erfahrung machen, dass der oben genannte Wäscheberg, wenn wir ihn einfach «nur» anschauen, zunächst vor allem eine Ansammlung von Farben, Mustern und Formen ist, bei denen wir verweilen können – und dass er ganz ruhig daliegt und «eigentlich» nichts von uns fordert. In diesem Moment haben wir Wahrnehmen und «Appell» entkoppelt.
Achtsamkeitsübungen können uns helfen, immer wieder kleinere und grössere Momente zu erleben, in denen diese Entkoppelung zwischen Wahrnehmung und reflexhaftem Handeln gelingt, gelassene Ruhe eintritt und wir ganz bei uns sind. Um Achtsamkeit zu praktizieren, müssen wir uns nicht unbedingt aus unserem Alltag zurückziehen – wir können sie ins tägliche Leben einbauen. Eine ganz einfache Achtsamkeitsübung ist beispielsweise das Wahrnehmen von Farben: Blicken Sie sich im Zimmer um, nehmen Sie mit einem beliebigen Gegenstand Kontakt über die Augen auf und registrieren Sie seine Farbe(n), lösen Sie dann den Kontakt wieder und gehen Sie über zum nächsten Gegenstand. – Oder versuchen Sie gleich jetzt eine Achtsamkeitsübung nach Middendorf!