Als einzige physiologische Körperfunktion wird die Atmung einerseits vegetativ (unbewusst) gesteuert, ist jedoch auch dem Willen und der Wahrnehmung zugänglich. Ilse Middendorf spricht von den drei Weisen, wie wir atmen können: dem unbewussten, dem willentlich geführten und dem erfahrbaren Atem.
Der unbewusste Atem
Wir atmen, ohne dass wir daran denken müssen – unsere Atemtätigkeit läuft von selbst ab und ist uns normalerweise unbewusst. Eingebettet in das vegetative Nervensystem und gesteuert vom Atemzentrum im verlängerten Rückenmark, erhält uns die autonom ablaufende Atemtätigkeit am Leben – Tag für Tag. Sie reguliert sich selbst und passt sich flexibel den wechselnden Gegebenheiten und Bedürfnissen des Organismus an. Der unbewusste Atem reagiert sensibel auf alles, was uns betrifft: auf körperliche Anforderungen ebenso wie auf seelische und geistige Eindrücke.
Der willentlich geführte Atem
Obwohl der Atem normalerweise unbewusst abläuft, kann er doch bis zu einem gewissen Grad willentlich gesteuert werden. Versuchen Sie folgende kleine Übung: 3 Sekunden lang einatmen, dann den Atem 2 Sekunden lang anhalten, und 3 Sekunden lang ausatmen. Um diese Übung wie vorgegeben ausführen zu können, müssen Sie Ihre Atemfunktion willentlich steuern. Der willentlich geführte Atem kommt in vielen Übungen des Yoga zum Einsatz. Auch die Buteyko-Atemtechnik greift auf unsere Fähigkeit, willentlich den Atem zu lenken, zurück. Der willentlich geführte Atem kann zielgerichtet eingesetzt werden, lässt jedoch den individuellen, natürlichen Atemrhythmus ausser Acht.
Der Erfahrbare Atem
Beim Erfahrbaren Atem – der Atemarbeit nach Middendorf – geht es darum, den natürlichen Atem, so wie er von selbst kommt und geht, geschehen zu lassen und ihn dabei mit bewusster Achtsamkeit wahrzunehmen – ihn zu erfahren – ohne jedoch in seinen Ablauf einzugreifen. Der zunächst unbewusste, individuelle natürliche Atem wird so nach und nach zur bewussten, leib-seelischen Erfahrung. Im Spiegel des eigenen Atems erhalten wir einen differenzierten Zugang zu uns selbst – zu Körpersignalen, zu unbewusst im Körpergedächtnis gespeicherten Lebensthemen, zu Haltungen und Blockaden, die den Atemfluss hemmen, wie auch zu Möglichkeiten und Ressourcen.