Jahre, Monate, Tage, und Stunden sind in sich abgerundete Einheiten unserer Zeitmessung. Sie basieren auf naturgegebenen Rhythmen, wie sie durch die Umlaufszeit der Erde um die Sonne und des Mondes um die Erde gegeben sind. Unsere irdische Zeit ist Abbild und Spiegel der Zeitabläufe unseres Sonnensystems.
Das Wissen um diese Einbettung der irdischen in die kosmische Zeit geht bis auf die frühesten Anfänge der Menschheit zurück – zahlreiche Kultstätten aus prähistorischer Zeit legen Zeugnis davon ab. Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Hügelgrab von Newgrange in Irland (3200 v. Chr., siehe Bild), dessen Eingangstunnel und innere Grabkammer jedes Jahr zur Wintersonnenwende vom einflutenden Sonnenlicht hell erleuchtet werden, in der übrigen Zeit jedoch in tiefster Dunkelheit liegen.
Die durch planetarische Rhythmen gegliederte «äussere», objektive Zeit ist für alle Menschen die gleiche. Dies schafft die Möglichkeit sozialer Verbindlichkeit – beispielsweise, wenn wir uns über den Tag und die Stunde einer Verabredung verständigen oder festlegen, wie viele Stunden die für alle Mitarbeitenden verbindliche wöchentliche Arbeitszeit in einem Unternehmen beträgt. Sie bildet ausserdem den Rahmen, innerhalb dessen wir unser eigenes, persönliches Alltagsleben strukturieren (müssen): wie viel (Über-)Zeit möchte ich in die berufliche Arbeit investieren, wie viel Zeit brauche ich für Erholung und Hobbies, wie viel Zeit möchte ich mit diesem Menschen, der mir nahe steht, verbringen?
Bei der Strukturierung der persönlichen Lebenszeit ergeben sich immer wieder auch Konflikte zwischen den eigenen (Zeit-)Bedürfnissen und den an uns gerichteten zeitlichen Anforderungen aus der Umgebung, seitens Arbeitsplatz, Familie und Partner/in. Sind solche Konflikte gravierend, können sie zu erheblichem Stress bis hin zum Burnout führen. Die Herausforderung ist hier das Abstimmen der «objektiven», sozial verbindlichen Zeit mit dem individuellen, subjektiven Zeitempfinden und den persönlichen Zeitbedürfnissen.
Denn in unserem Empfinden verläuft die Zeit bisweilen ziemlich anders, als es die «objektiv» verfliessende Zeit an der Uhr anzeigt. Je nachdem, womit wir gerade beschäftigt sind, kann eine Stunde eine kleine Ewigkeit dauern oder wie ein Wimpernschlag vergehen. Manchmal sind wir ganz in eine Tätigkeit versunken oder so sehr von Gedanken oder Emotionen absorbiert, dass wir vorübergehend das Zeitgefühl fast ganz verlieren. Unser Innenleben – Emotionen, Gedanken und körperliche Signale – hat massgeblichen Einfluss darauf, wie für uns persönlich die Zeit vergeht.
Auch unser individuelles Zeitempfinden wird durch natürliche Prozesse – durch Körpersignale und wiederkehrende Körperrhythmen – vermittelt und strukturiert. Signale von Muskeln und Organen, Atmung und Herzschlag vermitteln uns einen subjektiv empfundenen, «innerlichen» Zeitsinn. Der Körper und die in ihm ablaufenden Prozesse funktionieren somit als «innere Uhr» für unsere subjektive Zeitwahrnehmung. Durch wiederkehrende, in einem bestimmten Rhythmus getaktete neuronale Schwingungen im Gehirn wird festgelegt, welche «Portionen» der fortlaufend eingehenden Sinneseindrücke als zeitlich verbunden erlebt werden und welche nicht. Alles, was innerhalb einer Schwingungsperiode von durchschnittlich 30 Millisekunden vom Gehirn verarbeitet wird, empfinden wir als gleichzeitig auftretend.
Manche unserer Körperryhthmen stehen in direkter Verbindung mit den Rhythmen, welche die «äussere», objektive Zeit strukturieren. Um unsere Regeneration zu fördern und Stress abzubauen, ist es sinnvoll, solche natürlichen Zusammenhänge zwischen äusseren, makrokosmischen Zeitrhythmen und unseren inneren biologischen Uhren zu beachten. Mit Einbruch der Dunkelheit wird beispielsweise in der Epiphyse (Zirbeldrüse) vermehrt das Hormon Melatonin gebildet, das schlaffördernd wirkt. Indem wir unsere Schlafenszeiten mit dem Tag-/Nacht-Rhythmus abstimmen, lassen wir beide Rhythmen – den äusseren der eintretenden Nacht und den körpereigenen Rhythmus der Melatoninproduktion – auf natürliche Weise zusammenwirken für einen gesunden Schlaf. So ist es für eine ausreichende Erholung unseres Organismus sinnvoll, sich regelmässige Schlafenszeiten anzugewöhnen und nicht ohne Notwendigkeit die Nacht zum Tag zu machen.
Das bewusste Wahrnehmen des eigenen Körpers und insbesondere der eigenen, taktgebenden Körperrhythmen kann somit einen wertvollen Zugang eröffnen, um die eigenen Zeitbedürfnisse mit den Anforderungen der Umwelt abzustimmen und Stress abzubauen. Denn der erste Schritt, den wir tun müssen, um auf unsere subjektiven Bedürfnisse Rücksicht nehmen zu können und ihnen die nötige Zeit einzuräumen, ist, sie überhaupt erst einmal wahrzunehmen und zu spüren – am besten ganz konkret und körperlich. Einer der Körperrhythmen, der uns hierbei am vertrautesten und der Wahrnehmung am nächsten ist, ist unser Atemrhythmus. Wie kein anderer eignet er sich, uns selbst kennen zu lernen, uns zu spüren, zu entschleunigen und zu unserer ureigenen subjektiven Zeit zu finden.
Für das Jahr 2015 wünsche ich Ihnen fruchtbare, erfüllende und in einem für Sie stimmigen Rhythmus gegliederte Tage, Stunden, Wochen und Monate – und einen freien, lebendigen Atem.